Pressemitteilung zur Abschiebung am 22.7. aus Merseburg

Am Vormittag des 22. Juli 2015 wurde in Merseburg erneut eine Familie trotz erheblicher Bedenken von Unterstützer_innen im Rahmen der Dublin-Verordnung nach Polen abgeschoben. Die Familie, die ursprünglich aus Tschetschenien kommt, hat 8 Kinder. Obwohl sich die Mutter in den letzten Wochen einer Risikoschwangerschaft befindet, erkannten die örtlichen Behörden eine Reiseunfähigkeit nicht an.

Nach der Dublin-Verordnung müssen Geflüchtete in dem Land einen Asylantrag stellen, in dem sie zuerst die EU betreten haben. Polen selbst gilt dem deutschen Gesetzgeber als sogenannter ’sicherer Drittstaat‘, und das obwohl die Zustände in Polen, laut dem brandenburgischen Flüchtlingsrat, „ausgesprochen fragwürdig“ sind [1]. So werden selbst Familien mit kleinen Kindern während des Asylverfahrens bis zu einem Jahr in geschlossene Abschiebezentren gesteckt. Diese Praxis widerspricht jedoch der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den grundlegenden Menschenrechten, wie ein Bericht der von Kirchen und Diakonie organisierten „Europäischen Asylkonferenz“ darlegt [2]. Auch die medizinische Versorgung, die für die hochschwangere Frau dringend notwendig ist, ist im polnischen Asylsystem nur unzureichend gewährleistet. In ähnlichen Fällen hatten Gerichte eine Abschiebung nach Polen insbesondere für aus Tschtschenien stammende Menschen bereits untersagt. So zweifelte beispielsweise das Verwaltungsgericht Wiesbaden in einem Urteil vom 10. September 2013 an, dass „das Asylverfahren in Polen frei von systemischen Mängeln durchgeführt wird sowie eine menschenwürdige Unterbringung und Betreuung der Asylbewerber gewährleistet“ sei. [3]

Da der Vater der Familie zur Zeit der geplanten Abschiebung nicht zuhause war, gab es auch kurzzeitig die Befürchtung, dass die Familie bei der Abschiebung getrennt werden würde- laut der Menschenrechtsorganisation ProAsyl eine durchaus gängige Praxis in Deutschland [4]. Auch in diesem Fall zeigt sich wieder einmal der rigorose und unbarmherzige Umgang der deutschen Behörden mit Asylbewerber_innen. So ist es an der Tagesordnung, dass Menschen auch trotz erheblicher bestehender Risiken (in diesem Fall u.a. eine Gefahr für Leib und Leben sowohl der Mutter als auch des ungeborenen Kindes) in Länder abgeschoben werden, die es ihnen unmöglich machen ein gesichertes Leben führen zu können. Unterstützer_innen, die mit der Familie in Kontakt stehen, berichten, dass die Familie im Laufe des Tages von Beamt_innen über die polnische Grenze gebracht und dort sich selbst überlassen wurde.

Wir fordern von Land und Behörden ein Ende der menschenrechtswidrigen Abschiebepraxis und ein Ende des Dublin-III Systems! Wir fordern, die Rückkehr der Familie zu ermöglichen! Bleiberecht für alle!

Antirassistisches Netzwerk Sachsen Anhalt, 23.07.2015

[1] vgl. http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/fl%C3%BCchtlingsrat-brandenburg-%E2%80%9Eabschiebungen-nach-polen-sind-fragw%C3%BCrdig%E2%80%9C-9352

[2] http://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/wp-content/uploads/2011/10/European-Conference-on-Asylum_Warsaw_2012.pdf , vgl. vor allem S. 66

[3] vgl. Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden http://www.asyl.net/index.php?id=185&tx_ttnews[tt_news]=48879&cHash=5010bd07cb5a61e4bfc443717c28134f http://www.fluechtlingsrat-lsa.de/2014/01/positiver-beschluss-eilrechtsschutz-bei-dublin-abschiebung-nach-polen/

[4] http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_redakteure/Flyer_PDF/01_05_0303_B_Familien_fly.pdf